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Das Leben in einer besetzten Lagerhalle in Paris

Habe Mama noch gefragt, ob ich ihre gestrickten Handschuhe ausleihen darf. "Weisst du, ich gehe eben nach Paris. Da gehe ich mit Hanna auf den Strassen Hilfsgüter an obdachlose Flüchtlinge verteilen". Entschieden, welche Hose ich anziehen werde. "Eine braune Stoffhose. Die fällt nicht ganz so auf und da kann ich noch eine Trainerhose drunter ziehen". Und ich habe mir über legt welche Jacke und welcher Pullover ist wie praktisch. "Ein schwarzer Kapuzenpullover. Merchandise. Immerhin mögen Franzosen Metal. Darüber eine Bomberjacke. Sieht selbstbewusst aus, hat genügend Taschen und ist leicht."



In Paris ist es kalt. Um die 0 Grad Grenze schwankt das Thermometer, als Hanna und ich am Gare de Lyon aus den Toren auf den Platz laufen. Da stehen wir, in der Stadt der Liebe. Noch kurz ein wenig Paris spüren gehen: Die Strasse vom Bahnhof 150 Meter geradeaus. Da gibt es ein Café. Unter einem Heizstrahler sich noch kurz wohlig fühlen.


Ab dann ins Outback. Banglieu. "Pass auf, dort sind die Gillet Jaune". Ghetto. Google Maps führt uns an einen verwarlosten Bahnhof am Rande der Metropole. Dort wo die Mülleimer zu Komposteimer fungiert werden und darauf gerwartet wird bis sich die Mengen an Müll von alleine zersetzen.


Wir stehen vor einem Tor. "Laut klopfen - ansosten rufen" steht auf englisch auf einem Schild.

Durch den Briefkastenschlitz sehen wir: RGSP - wir sind richtig.

Hier beim Refugee Ground Support Paris sind wir richtig und für 2 Nächte zu Hause.


Gerade noch die Taschen abgelegt, kurz umgeschaut und sich bei der WG vorgestellt - 15 Minuten später in einer Lagerhalle. Unserem Arbeitsplatz.




Nehmen, werfen, flach streichen, rollen, halten, Gaffa. Der nächste.

Papa hatte mir schon so beigebracht, wie ich meinen Schlafsack im Schullager selbständig zusammen rollen muss. Der Unterschied ist nur, diese Schlafsäcke sind nicht für ein Sommerlager in Kandersteg und man arbeitet auf Zeit. Ein Schlafsack mehr - eine Person mehr, die weniger frieren muss.


Reaggaton, schon den ganzen Nachmittag. Ein wenig Lockerheit bei der Fliessbandarbeit. Bald schon das erste und zweite Bier. Zumindest nennt man dort dieses Wasser mit französischem Namen in den braunen Flaschen so. Nachtessen. Vegan - ist ja klar. Hippies reichen sich die Teller und reden zusammen von ihren Weltabenteuern und Reisen. Hanna und ich hatten da definitiv weniger zu reisen.

Noch einen Kaffee, noch etwas Süsses, nochmals kurz die Augen schliessen und es geht los.

Um Mitternacht brummen die Motoren der beiden Lieferwägen. Vollgepackt mit unseren Schlafsäcken, Kleidern und Zelten.



"Wir fahren in ein Lager". Nein, nicht Kandersteg - Port de Chapelle. Ein Zeltlager unter der Brücke, ein zu Hause von 200 obdachlosen Flüchtlingen.



ZZ Top, La Grange. Es klingt nach Freiheit. Nach weiten Strassen in der Wüste Nevadas. Aufs Gaspedal drücken. Arm aufgelegt schaue ich aus dem Fenster und lese "Champs-Elysées". Wie im Film. Freitagnacht über die Pflastersteine, rein in den Kreisel um den "Arc de Triomphe". Die nächste rechts, nochmals geradeaus. Aussteigen, Decken nehmen und 20 Meter laufen. Da wohnen wieder welche. Sie sind überall, nur nicht dort wo du Paris geniesst.


Im Auto ist es warm, zumindest solange wir fahren. Als wir aussteigen wird es wieder kalt. So viele Decken wie möglich packen wir auf unsere Arme und gehen in Richtung Schlafplätze. Es geht nicht lange und wir sind die Decken los.


So geht es die ganze Nacht, bis wir um 4:00 Uhr morgens auf den Hof im Banglieu zurück fahren. Noch kurz die nicht verteilten Hilfsgüter aus dem Auto räumen, die Jogginghose an und sich in der Couchecke möglichst Nahe neben den Heizofen setzen.

Whiykey mit und ohne heisse Schokolade, kiffen und einfach sitzen. Gegen 5:00 Uhr gehts in Bett, um 13:00 Uhr klingelt der Wecker.



Langsam wachen wir auf. Nahe aneinander (Pinguinprinzip) und dann auf dem Weg zu Küche. Rhythmus total am Arsch, 14:00 Uhr Frühstückszeit. Es gibt was es gibt.



Ein Lebensmittelladen hat gratis Produkte abzugeben. Da isst man auch mal ein Marzipan-Spiegelei-Peperoni-Croisant. Dazu Kaffee vom Herd.

Frisches Croisant und Kaffee aus der Baristamaschine gitbt es halt nur in Paris. Dem Instagram-Paris in der Innenstadt. Dort wo wir auch die Nacht darauf wieder die Champs-Elysées mit etlichen Hilfsgütern hinunter fahren.




Au revoir.



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